Örtlich sichtbar

 

Günter Wagner (MA Kunstwissenschaftler)

 

Einführungsansprache zu der Ausstellung "Örtlich sichtbar"
von Angelika Schneeberger und Helga Thomas-Berke
im Integrativen Begegnungszentrum der Gold Kraemer Stiftung Alt St. Ulrich am 09. November 2014.

 

Malerei und Zeichnung von Angelika Schneeberger und Helga Thomas-Berke.


Örtlich sichtbar – Haben die Künstlerinnen Angelika Schneeberger und Helga Thomas-Berke diesen Titel für ihre gemeinsame Ausstellung gewählt, weil sie sich bei der Anfertigung ihrer Werke von der Natur anregen lassen? Naturstudium vor Ort, Ausarbeitung und Weiterverarbeitung im Atelier?
Örtlich sichtbar! Was ist damit gemeint? Ist das, was sichtbar ist, nur an einem bestimmten Ort zu sehen, vielleicht auch nur in einem bestimmten Zeitraum? Ist der Ort, wo gesehen wurde, von Bedeutung für uns Betrachter? Bezieht der Titel sich darauf, dass die Künstlerinnen vor Ort skizziert, gezeichnet, gemalt haben?


Die Einladungskarte


Die Einladungskarte zeigt je einen Ausschnitt aus einem Werk der beiden Künstlerinnen. Angelika Schneeberger: Im Vordergrund ein Teil eines Baumstammes, im Hintergrund eine weiße Fläche, darauf das bizarre Schattenspiel von Blätterwerk, den Abstand dazwischen überbrückt eine grüne Fläche, ebenfalls teilweise überschattet. Helga Thomas-Berke: Dunkle Strukturen, davor hellere Strukturen, in den Flächen dazwischen Einblicke in hellere Bereiche mit Grün- und Gelbtönen.
Ein Ort ist in beiden Fällen nicht identifizierbar. Das erste lässt etwas erkennen: Baum, Rasenfläche, eine Wand oder Mauer, Schatten. Es handelt sich offenbar um einen von Menschen besiedelten Raum. Das andere Bild könnte ein dichtes Gestrüpp von Ästen, Blättern, Wurzeln zeigen; dass es einen Vorder- und Hintergrund gibt, kann man anhand der Überlagerungen vermuten. Angaben zu einer Örtlichkeit lassen sich keine machen, es könnte in einem polnischen Nationalpark sein, aber genauso gut im Brühler Schlosspark.


Die Biografien


Zwei Künstlerinnen, zwei Biografien, zwei Werkkomplexe. Die beiden kennen sich seit der Schulzeit, haben gemeinsame Erinnerungen, haben jahrelang keinen Kontakt gehabt, sich wiedergetroffen, gemeinsam ausgestellt, sich ausgetauscht über die Kunst und das Leben und stellen jetzt hier in den Räumen der Goldkrämer-Stiftung wieder gemeinsam aus.


Helga Thomas-Berke wurde in Köln geboren und lebt in Brühl. Von 1970 bis 1975 studierte sie an der Kölner Fachhochschule für Kunst und Design. Seit vier Jahrzehnten stellt sie regelmäßig aus, bevorzugt im Rheinland, aber auch deutschlandweit und international. In ihrem Brühler Atelier gibt sie Malunterricht, sie organisiert Malreisen ins Ausland und ist selbst regelmäßig unterwegs, um in der Natur zu arbeiten.


Angelika Schneeberger ist gebürtig aus Wuppertal. Ein Studium der Anglistik und Germanistik hat sie absolviert und war darauf im Lehramt tätig. Sie hat keine akademische Kunstausbildung, aber in ihrem Beruf schon Kunst unterrichtet. Sie hat schon immer viel gezeichnet und sich später in Kursen an der Europäischen Kunstakademie in Trier weiter gebildet. Ihre Ölmalerei hat sie im Selbststudium ständig weiterentwickelt. Die in Köln lebende Künstlerin hat seit 2002 ein eigenes Atelier, seit 2010 im Frechener Signalwerk. Seit 2004 zeigt sie ihre Arbeiten in regelmäßigen Ausstellungen. Auch Angelika Schneeberger ist eine Reisende – sie ist regelmäßig unterwegs, in der Region, in Deutschland, im Ausland.


Die Ausstellung


In dieser Ausstellung zeigen beide Künstlerinnen Arbeiten aus den letzten beiden Jahren, die überwiegend inspiriert sind durch regelmäßigen Aufenthalt in der Natur und durch intensive Wahrnehmung der Natur. Da hört es mit den Gemeinsamkeiten auf.


Von Helga Thomas-Berke sehen wir Malerei auf Papier und auf Leinwand sowie einige Zeichnungen und Aquarelle. Es handelt sich um abstrakt wirkende Strukturen, die in starker Bewegung sind und viele Überlagerungen aufweisen. Man könnte vermuten, dass es sich um die Wiedergabe von Bäumen, Pflanzenstielen oder wurzeln handelt. Aber diesen Bildern liegt kein konkretes Vorbild zugrunde, auch wenn sie viel in der Natur zeichnet und malt.
Für die Künstlerin steht der Malprozess im Vordergrund, die inhaltliche Komponente wird dabei nebensächlich. Um dem Wesen dieser Malerei näher zu kommen, möchte ich erläutern, wie Helga Thomas-Berke arbeitet. Zunächst verleiht sie der Leinwand mit Acrylfarbe einen Grundton, legt auch schon Strukturen an. Diese werden mit Öllasuren stärker herausgearbeitet. Mit einer Spachteltechnik wird Ölfarbe aufgelegt, es werden Stellen wieder freigelegt und wieder übermalt. Dieser Prozess von Aufbau und Zerstörung wird vielmals wiederholt. Die Bildentwicklung findet ausnahmslos im Atelier statt. Bei den Arbeiten auf Papier geht sie ähnlich vor.
Die Ergebnisse sind beeindruckend. Die ausschnitthaften Strukturen erscheinen in ihrer Bewegung und ihrer Dynamik ebenso willkürlich und zufällig, wie uns das pflanzliche Wachstum vorkommt – was natürlich nur scheinbar so ist, denn die Entwicklung einer Pflanze wird durch Wärme, Licht, Feuchtigkeit und weitere Faktoren beeinflusst. Und ebenso gelenkt wird die Malerei durch die Hand der Künstlerin. Vielseitige Varianten in unterschiedlichen Farbtendenzen – grün, blau, grau, gelbbraun – zeigen ihre ausgeprägte Auseinandersetzung mit dem Bildthema.
Dieses anhaltende Arbeiten an einem Thema ist charakteristisch für Helga Thomas-Berke – die ständige Entwicklung und Weiterentwicklung der Bilder hinsichtlich des Zusammenspiels von Licht und Farbe. Solange, bis sich daraus neue Schwerpunkte entwickeln. So kann es auch sein, dass sich abstrakte Phasen und realistische Phasen abwechseln, aber es ist ein stringentes Weiterentwickeln und alles baut aufeinander auf. Ein Prozess, der schon seit Jahren anhält. Der Faden, der sich durch ihre Malerei zieht, ist die Auseinandersetzung mit der Farbe.
Man darf gespannt sein, wie der Weg der Künstlerin weiter verläuft, und ich empfehle Ihnen, diesen Weg zu verfolgen.


Diese Empfehlung gilt natürlich auch für Angelika Schneeberger. Intensives Naturstudium liegt ihren Arbeiten zugrunde. Wir sehen skizzenhafte ebenso wie detailliert ausgearbeitete Grafitzeichnungen, teilweise kolorierten, neben realistisch anmutender Ölmalerei. Vorwiegend sind Bäume und Blätterwerk wiedergegeben, ausschnitthaft, aber auch großflächiger angelegt.
Angelika Schneeberger ist eine genaue Beobachterin und die Arbeiten erscheinen uns wie nach der Natur gemalt. Doch ihre Bilder entstehen im Atelier. Als Grundlage dienen Skizzen und Fotografien, angefertigt auf Reisen und Wanderungen. Ergänzend kommen Erinnerungen und Eindrücke hinzu. Manche Bilder gären jahrelang in ihr, bis sie sich zu einer bildnerischen Umsetzung entschließt. „Eine durch die Erinnerung umgestaltete und neu erlebte Realität“ zeige sie. Angelika Schneeberger erlebt die Natur bei ihrem Unterwegssein, und besonders die Bäume als etwas für die Erde und die Menschen unbedingt Notwendiges. Ein Baum trägt Erinnerungen an „erlebte Situationen, an Stimmungen und Gefühle, an andere Menschen“.
Stimmungen und Gefühle – ganz stark kann der Betrachter sie empfinden bei diesen Bildern. Man kann die Leidenschaft spüren, mit der die Künstlerin ihren Bildobjekten gegenübertritt – in der Detailtreue, der exakten Linienführung, bei den Zeichnungen und der Farbsetzung in den Gemälden. Und sie ist experimentierbereit, offen für das Spiel mit den bildnerischen Mitteln und Techniken.
Vielen Bildern haftet – so empfinde ich es – etwas Geheimnisvolles an. Die Stimmung wird hervorgerufen durch Licht- und Schattenspiel, aber auch durch die ausschnitthaften Motive. Der Hintergrund ist oft gleichmäßig, Baumstämme und Blattwerk sind nur teilweise zu sehen, eine Zuordnung können wir nicht vornehmen, Umgebung und Verortung bleiben rätselhaft. Erst die Titel geben Anhaltspunkte für eine regionale Zuordnung, die aber letztendlich für Betrachter keine Rolle spielt. Angelika Schneeberger vergibt Titel, oftmals eine Ortsbezeichnung wie Otterlo oder Pfalz, weil diese Zuordnung für sie selbst von einer gewissen Bedeutung ist.
In ihren jüngsten grafischen Arbeiten verzichtet sie auf den Einsatz von Farben und beschränkt sich auf Grautöne. Dieses Schwarzweiß-Denken sei eine neue Erfahrung für sie, durch die Reduzierung erreiche sie eigentlich eine Erweiterung der Darstellungsmöglichkeiten.


Örtlich sichtbar –

wenden wir uns noch einmal dem Titel der Ausstellung zu. Ich lege den Schwerpunkt auf das „sichtbar“ – das, was wir in der Natur sehen, das, was wir auf den Bildern sehen. Der Ort spielt letztlich eine unterge- „ort“- nete Rolle, denn Sehen und damit Entdecken können wir überall. Angelika Schneeberger und Helga Thomas-Berke eröffnen uns in dieser Ausstellung ihre persönliche sicht – zumindest in einigen Aspekten – und die damit verbundene individuelle Umsetzung in Malerei und Zeichnung. Wir sollten uns davon anregen lassen und die eigene Sicht auf die Dinge der Welt öffnen.